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Aktuelles - Von der Müllkippe zum Gedenkort
 
[' 05.05.2023 - ']

Unmittelbar vor dem 78. Jahrestag des Kriegsendes eröffnet im ostbrandenburgischen Dörfchen Klessin ein besonderes Geschichts-Ensemble auf einem der am Ende des Zweiten Weltkrieges am härtesten umkämpften Orte.

In einem großen Bogen schwenken die Seelower Höhen nach Osten - bis sie mit dem Reitweiner Sporn fast die Oder berühren. Im Frühjahr 1945 wird die exponierte Lage – nur 2 Kilometer vom Flussufer entfernt – schicksalhaft. Tödliches Verhängnis für den Ort, seine Bewohner und die Soldaten der Wehrmacht und der Roten Armee, die hier 7 Wochen gegeneinander kämpfen. Die Deutschen wollen den Ort (be)-halten, der beste Sicht auf beide Flussufer bietet und keine sowjetische Bewegung unbeobachtet lässt. Zudem verschließt Klessin den Rotarmisten den Zugang auf den Höhenzug. „Fällt Klessin, dann fällt Berlin!“ heißt damals eine deutsche Parole. Eine von vielen, um den Durchhaltewillen der eigenen Soldaten zu mobilisieren. Am Ende der Kämpfe ist der Ort von der Erdoberfläche verschwunden. „Das Verdun des Ostens“ sagen die wenigen Überlebenden. Trümmerwüste, Kraterlandschaft.

Tote modern noch zwei Jahre nach Kriegsende unter freiem Himmel. Aus Angst vor Blindgängern traut sich keiner auf das Gelände. Auch später bleibt es leer. Kein Wiederaufbau, kein sozialistischer Frühling. Das Guts-Gebiet wird zur Müllkippe. Aus den Jugendlichen, die mit den Resten des Krieges spielerisch aufwachsen, werden gestandene Leute. Was zu DDR-Zeiten Tabuthema ist, lässt sie nicht los. 20 Jahre dauern ihre Bemühungen, als Heimatverein Wuhden e.V., aus Kriegswüste und Müllablage einen würdigen Gedenkort zu formen. Tausende Stunden ehrenamtlicher Arbeit – Machen jenseits der großen erinnerungspolitischen Debatten. Das ist wohl die wichtigste Botschaft dieses Ehrenamtes: zivilgesellschaftliches Engagement für Zeitgeschichte in einer Region, die wie kaum eine andere vom Krieg gebeutelt ist.

Zugute kommt dem Vorhaben eine andere, auch ehrenamtliche Initiative. Seit Jahren sucht und birgt der Verein zur Bergung Gefallener in Osteuropa (VBGO e.V.) in und um Klessin Tote des letzten Krieges. Die Mitglieder aus ganz Europa holen menschliche Überreste aus der Schicht, in der sie seit sieben Jahrzehnten lagern: in zugeschütteten Schützengräben, Granattrichtern und Unterständen, kaum 50 Zentimeter unter dem Gras, dem Feld, der Straße. Manche Schicksale lassen sich klären. Die Toten bekommen ihre Namen und eine würdige Bestattung. Aufwendiges Forschen in Archiven lässt die Ereignisse rekonstruieren. Mit Hilfe eines Landschaftsarchitekten entsteht ein Rundweg über das einstige Gutsgelände. Vielerlei Bewuchs und Untergründe markieren, was hier einst stand und, was der Krieg hinzufügte. Auch der Verlauf der Schützengräben ist zu erkennen und, wo in diesen Gräben die Toten zu finden waren. Zahlreiche Tafeln erzählen die Geschichte des Gutes Klessin, berichten von den Kämpfen und geben diesen Toten Gesicht.

Das zeigen auch die Macherinnen und Macher. Mit diesem Areal ist in der Region erstmals ein authentischer Platz des Kriegsgeschehens von 1945 als Ort der Information, der Bildung und des Innehaltens gestaltet worden. Dieses Beispiel ist auch eine erfreuliche Ermutigung, sich dem Ereignis, dass die Region enorm geprägt hat, produktiv und in der Breite zuzuwenden.

Text: Tobias Voigt; Fotos: Alexander Apel

Bild 1: Das Eingangsschild zum Gedenk- und Erinnerungsort Klessin
Bild 2: Die Projektpartner durchschneiden das Band und eröffnen das Freigelände
Bild 3: Der stählerne Nachbau des Eingangsportal des Guts
Bild 4: Tafeln säumen den Rundweg und erklären den Ort und seine Geschichte





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